Er ist der wohl bekannteste Vertreter der neuen deutschen Designergeneration, die international Furore machen: Sebastian Herkner. Der Hohenloher wurde 1981 geboren, studierte Produktgestaltung an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, arbeitete im Atelier von Stella McCartney in London und eröffnete 2006 sein eigenes Studio. Der Ruhm kam schnell: Herkner wurde als Hochschullehrer engagiert und mit Auszeichnungen wie dem Wallpaper Design Award, German Design Award und ELLE Deco Award ausgezeichnet. Bei der imm Cologne 2016 war er Guest of Honor.
Herkner entwirft für renommierte Firmen wie Dedon, Rosenthal, ClassiCon, Pulpo und Fontana Arte – für Schramm Werkstätten hat er eine neue Generation von Boxspringbetten entwickelt: CALM und FOLD. Flexibel handhabbare Schlafinseln für die mobilen Bewohner der Online-Welt. Herkner selbst reist ständig um den Globus, entwickelt mit Produzenten und Handwerkern Möbel, Lampen und Geschirr. Seinen Lebensmittelpunkt hat er nach wie vor in seiner Studienstadt Offenbach.
Ein Gespräch über das Blau der Kindheit, den Zauber von Glasbläsern und guten Geschmack.
Von Stefanie von Wietersheim
Wie wird man Designer für Tische, Lampen und Betten? Haben Sie schon als Kind Möbel gebaut oder wollten Sie Gabelstaplerfahrer, Pilot oder Gärtner werden?
„Ich wollte immer in den kreativen Bereich, aber kannte den Begriff des Produktdesigners nicht – in meiner Jugend war er nicht so geläufig wie seit 10, 15 Jahren, wo auch Produktdesigner stärker im Rampenlicht stehen. Ich kannte Architekten, Künstler, Modemacher. Und natürlich legendäre Entwürfe wie die Wagenfeld-Leuchte oder die Stühle von Charles Eames. Die Idee, Industriedesigner zu werden, kam relativ spät. Aber ja: ich wollte immer gestalten und schaffen.“
Hatten Sie Vorbilder?
„Nein. Nie. Ich wusste ja lange nicht, dass es so etwas wie Produktdesigner gibt.“
Hatten Sie einen Mentor oder eine Mentorin?
„Auch nicht. Heute empfinde ich aber die Handwerker auf verschiedenen Kontinenten, mit denen ich zusammenarbeite, auf gewisse Weise als meine Lehrer. Sie haben ein wahnsinniges Wissen, eine Geduld, Fertigkeiten, die ich bewundere. Allein die Glasbläser, die die Füße für meinen „Bell-Table“ machen, brauchen bis zu 10 Jahre, um blind in eine Holzform blasen zu können, mit einer besonderen Atemtechnik, einem Gespür für Zeit. Die Teppichknüpfer in Kolumbien bringen mir genauso viel bei wie die Flechter auf den Philippinen und die Tischler, Polsterer und Schneiderinnen bei Schramm in der Pfalz, wo überhaupt keine Roboter eingesetzt werden und man eine Handwerkstradition weitergibt. Das interessiert mich! Augen und Hände!“
Wie war es, während Ihres Studiums mit der Modedesignerin Stella McCartney zu arbeiten?
„Inspirierend. Ich war ein Jahr in ihrem Fashion-Design-Studio in London und habe mich viel mit Stoffen beschäftigt. Ich denke schon, dass mich das bis heute sehr prägt. Im Gegensatz zu Möbeln arbeitet man bei der Mode in einem anderen Maßstab und Rhythmus. Man präsentiert vier mal im Jahr die neuen Visionen und Kollektionen, mit meinen heutigen Kunden arbeiten wir auf die Mailändern Messe hin, also einen Höhepunkt im Jahr. Ich habe bei Stella andere Farbkonzepte und Denkweisen gelernt, sowie die Arbeit mit Kollagen von Farbe und Material. Der interdisziplinäre Dialog ist bis heute für mich als Produktdesigner sehr wichtig, ebenso die Beschäftigung mit Fotografie und Musik.“
Gibt es so etwas wie eine typisch deutsche Designerausbildung?
„Mmm, ich weiß nicht. Ich habe ja an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach studiert, wo man sich mit angewandtem Design beschäftigt, man sehr technisch und innovativ denkt, jedoch auch eine Freiheit zur Selbstentwicklung unterstützt. Man wird weniger zum Autorendesigner erzogen – auch wenn ich selbst dann einer geworden bin! In den Studiengängen in der Design Academy Eindhoven ist man sicher wesentlich freier, künstlerischer, auch am St. Martins College of Art and Design und am Royal College of Art in London, ebenso in der Design- und Kunsthochschule in Luzern. Aber jeder Weg ist sehr individuell.“
Was ist guter Geschmack für Sie?
„Guter Geschmack ist für mich immer individuell, total persönlich! Das kann auch schräg sein, mit kitschigen Elementen, die man einbaut. Es wäre schrecklich, wenn wir alle gleich eingerichtet wären. Eine Einrichtung wächst über das Leben mit einem mit. Das Schlimmste für mich ist, wenn man eine komplettes Interior auf einen Schlag im Möbelhaus zusammenkauft. Hier hat man letztendlich den Geschmack des Möbelhändlers adaptiert, aber nicht den eigenen! Deshalb bewundere ich gute Innenarchitekten, die sich in das Leben und die Persönlichkeit ihrer Kunden einfühlen und diese im Haus interpretieren.“
Wie sieht es denn bei Ihnen Zuhause aus?
„Ich lebe mit meinem Mann umgeben von Dingen, die wir mit der Zeit an vielen Orten gefunden und gesammelt haben: Souvenirs, Vintagemöbel, Entwürfe von Designern und Arbeiten von Künstlern, die ich schätze. Dazu sind wir umgeben von vielen meiner eigenen Entwürfe. Ich finde es wichtig, real als Nutzer, mit ihnen zu leben, mich mit ihnen auseinanderzusetzen, zu sehen, wie sie älter werden. Ich kommuniziere mit ihnen, teste und hinterfrage sie immer wieder. Ich sitze auf meinen Terrassenmöbeln, liege in meiner Badewanne, seit einigen Wochen schlafe ich in meinem neuen Schramm-Entwurf, dem „Fold“-Bett.“
Und wie ist das? In einem Bett zu schlafen, das man selber entworfen und entwickelt hat in einer Werkstatt?
„Es ist eine Umgewöhnung! Wie immer, wenn man ein neues Bett und eine neue Matratze hat, denn sie ist nun fester als zuvor. Ich finde die Idee hinter „Fold“ wirklich aktuell und nutze das flexible Rückenteil jeden Abend. Hier bin ich selbst die typische Zielgruppe des Bettes, in dem man gut am iPad lesen, Filme sehen und online über Social Media kommunizieren kann. Unser Leben im Bett hat sich in den letzten Jahren drastisch geändert! Ich bin als Designer immer extrem kritisch, aber muss sagen: es funktioniert gut. Nicht zuletzt weil wir während der Entwicklungsphase vieles immer wieder zusammen mit den Experten von Schramm ausprobiert haben: sitzen und liegen, weicher oder flauschiger, einen spontanen Look… Der Stoff sollte abziehbar sein, weil man ja mit dem Kopfteil oft in Berührung kommt.“
Ihre Lieblingsfarbe?
„Im Laufe des Lebens habe ich eine starke Farbentwicklung erlebt. Als Kind liebte ich Blau. Aber wenn man klein ist, kennt man eigentlich nur die Farben des Malkastens! Mit der Zeit ist mein Farbspektrum immer größer geworden. Entscheidend dabei sind meine ständigen Reisen, in Städte und Kulturen. Ein Rot sieht in Kolumbien ganz anders aus als in China oder Russland und hat auch einen anderen Stellenwert in Kulturgeschichte und Alltag. Mit dem Reifen und Älterwerden gibt es für mich viel mehr Farben, ich setze mich mit ihnen immer neu auseinander. Ich finde auch, man sollte sich in der Einrichtung, auch bei Wäsche oder Bettwäsche mehr trauen, nicht nur weiß, beige und grau, sondern Farben! Die Welt ist voller Farben! Farben, die wir gar nicht sehen!“
Und Lieblingsnamen? Sie müssen Ihren Entwürfen ja immer Namen geben.
„Oda. Wie die Malerin Oda Jaune, die Frau des verstorbenen Künstlers Jörg Immendorf. Und Manu. Wie mein Lebensgefährte. Ich spiele gerne mit Namen und drehe sie für meine Produktbezeichnungen um. Aus Manu habe ich bei meinem neuen Stuhl der Firma Very Wood „Uman“ gemacht.“
Ihr Lieblingsbuch?
Ich sammele natürlich Bücher über Kunst und Design. Ganz vorne im Regal stehen:
Hélio Oiticia: „Das große Labyrinth“
Hans J. Wegner: „Just one good chair“
Kenya Hara: „Design Design“
Online lese ich hingegen jeden Morgen im Bett die „Süddeutsche Zeitung“.
Sie werden als Möbelstück wiedergeboren – was möchten Sie sein?
„Ein Schaukelstuhl.“